Wenn wir wissen, wofür wir es tun

Erkenntnisse aus Großgruppenexperimenten an denen auch Prof. Dr. Joachim Weimann im Magdeburger Experimentallabor (MaXLaB) beteiligt war:

Demokratie, Umweltschutz, Frieden – die großen Themen unserer Zeit sind kollektive Güter, die sich nur dann erzeugen lassen, wenn viele Menschen dafür freiwillig einen Beitrag leisten. Allerdings besagt die seit über 50 Jahren geltende Theorie kollektiven Handelns, dass es für den Einzelnen in großen Gruppen keinen Anreiz gibt, an der Bereitstellung kollektiver Güter mitzuwirken. Denn sein Einsatz steht in keinem Verhältnis zum minimalen Einfluss, den er nehmen kann.

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Mit dem bisher größten Laborexperiment der Wirtschaftsforschung hat eine Gruppe deutscher Experimentalökonomen diese Theorie jetzt nachhaltig erschüttert und darüber hinaus eine erstaunliche Entdeckung gemacht – mit erheblichen Auswirkungen auf den politischen Umgang mit der Beteiligung: Unser Engagement hängt keineswegs nur am Einfluss, den wir haben. Wesentlich wichtiger ist, ob uns wirklich klar ist, wofür wir uns einsetzen.

 

Kollektive Güter wie der Schutz des Klimas oder persönliche Freiheitsrechte kommen allen zugute, unabhängig davon, ob sie etwas dazu beitragen, oder nicht. Für den Einzelnen ist es deshalb eine durchaus rationale Strategie, nur Nutznießer zu sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es um die Organisation unseres Gemeinwohls schlecht bestellt ist. Tatsächlich scheint das der Alltagserfahrung zu entsprechen: Warum soll ich auf mein Auto verzichten, wenn es Millionen anderer nicht tun?

Fluggastzahlen steigen im gleichen Maße wie das Umweltbewusstsein – ein Widerspruch?

Seit Mancur Olsons 1965 erschienenem Buch „The Logic of collective Action“ beruft sich auch die Wissenschaft auf die Theorie, dass große Gruppen nicht in der Lage sind, Kollektivgüter bereitzustellen. Danach scheitern sie an einem zentralen Widerspruch: Obwohl es alle Mitglieder der Gruppe besserstellen würde, wenn das Kollektivgut bereitgestellt wird, ist der Anreiz, es tatsächlich zu tun, für den Einzelnen verschwindend gering – seinem minimalen Einfluss stehen als zu hoch empfundene Kosten gegenüber. So ist es beispielsweise für den einzelnen Hausbesitzer mit Unannehmlichkeiten verbunden, wenn er weniger heizt und sich dafür wärmer anzieht, um CO2 einzusparen. Der Effekt seiner Maßnahme auf den Klimawandel ist aber praktisch nicht wahrnehmbar. So hindert auch die Einsicht, dass weniger Flugverkehr ein Beitrag zu mehr Klimaschutz wäre, die Menschen nicht daran, das Flugzeug zu nutzen – die Fluggastzahlen steigen im gleichen Maße wie das Umweltbewusstsein.

Auf die Sichtbarkeit der Kooperationsvorteile kommt es an

Im größten Laborexperiment, das bisher in der experimentellen Wirtschaftsforschung realisiert worden ist und das von der Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert wurde, hat eine Gruppe deutscher Experimentalökonomen um den Magdeburger Ökonomen Joachim Weimann die Olson-Theorie jetzt unter Laborbedingungen getestet. Indem sie vier Labore über das Internet miteinander verknüpften, konnten Weimann und seine Kollegen Jeannette Brosig-Koch von der Universität Duisburg-Essen, Heike Henning-Schmidt von der Universität Bonn, Claudia Keser aus Göttingen und Timo Heinrich von der Durham University große Gruppen unter Laborbedingungen virtuell zusammenbringen. Mit mehr als 5.000 Versuchspersonen kamen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Große Gruppen, in denen die Mitglieder nur einen sehr geringen Einfluss auf das Gruppenergebnis hatten, sind zu exakt der gleichen Kooperationsleistung fähig, wie die zur Kontrolle eingesetzten Kleingruppen. Den von Olson beschriebenen Effekt, dass der schwindende individuelle Einfluss in großen Gruppen jegliche Kooperation unmöglich macht, konnten die Forscher nicht beobachten.

Stattdessen zeigte sich, dass für das Kooperationsverhalten der Mitglieder großer Gruppen etwas entscheidend war, das man bisher in der Forschung zu Kooperationsfragen nicht im Blick hatte: Tatsächlich kommt es weniger auf den absoluten Wert des Beitrags an (der sehr klein sein kann), als vielmehr darauf, in welcher Relation dieser zur Bedeutung des Einzelnen in einer Gruppe steht. Die Forscher interpretieren dies als einen Indikator für die Sichtbarkeit (Salienz) des wechselseitigen Vorteils, den kooperatives Verhalten erzeugt: Meine eigene Kooperation hilft anderen, die Kooperation der Anderen nützt mir.

Gefahr und Chance bei der Lösung großer Aufgaben

Das allerdings eröffnet einen gänzlich neuen Ansatz in der Forschung zum Kollektivgutproblem. Sollte sich die Hypothese bestätigen lassen, dass für große Gruppen die Sichtbarkeit der Kooperationsvorteile für ihr gemeinschaftliches Handeln entscheidend ist, ergeben sich neue Fragestellungen mit erheblicher praktischer und politischer Bedeutung. Das würde nämlich bedeuten, dass beispielsweise demokratische Systeme in Gefahr geraten, wenn den Bürgern die wechselseitigen Vorteile, die durch Partizipation am politischen Leben für alle entstehen, nicht mehr hinreichend klar sind. Dass die Lösung von Umweltproblemen entscheidend davon abhängt, ob die Vorteile von umweltschonendem Verhalten hinlänglich bekannt und im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind. Dass also Kollektivgutprobleme vor allem dann zustande kommen, wenn die Vorteile ihrer Lösung nicht ausreichend sichtbar sind.

Ein Drittel der Menschen ist kooperativ, aber Freiwilligkeit allein reicht nicht

Das experimentelle Großprojekt hat allerdings auch gezeigt, dass selbst unter den idealen Bedingungen eines Labors eine Lösung des Kollektivgutproblems nur partiell gelingen kann, wenn man sich dabei allein auf die freiwillige Kooperation von Individuen verlässt. Immerhin ein Drittel der Teilnehmer war jedoch bei hinreichender Salienz zur Kooperation bereit. Und darin liegt die Chance: „30 Prozent Befürworter – das ist in demokratischen Systemen eine unverzichtbare Basis für rationale kollektive, also politische Entscheidungen“, sagt Joachim Weimann.

 

 

Quelle: Weimann J., Brosing-Koch J., Heinrich T., Henning-Schmidt H., Keser C.: Public Good Provision by Large Groups – The Logico f Collective Action Revisited. European Economic Review, 118 (2019), 348-363.