Die Bereitschaft von Menschen, sich freiwillig für gemeinsame Ziele einzusetzen, auch wenn der persönliche Nutzen unsicher bleibt, beobachten wir in verschiedenen Lebensbereichen wie Impfprogrammen, Sportvereinen, Amateurorchestern und Umweltinitiativen. Ein weiteres Beispiel ist Urban Gardening. Menschen investieren Ressourcen und Zeit in gemeinschaftliche Grünflächen, obwohl Alternativen wie private Balkongestaltung oder ein eigener Schrebergarten zur Verfügung stehen könnten und der Ertrag nicht nur von ihrer eigenen Mühe abhängig ist, sondern auch von der Kooperation aller Beteiligten.
Wir wissen, wie herausfordernd es ist, die Kooperation langfristig aufrechtzuerhalten (Olson 1965) und zeigen das auch in experimentellen Studien (Ledyard 1995). Das Public Goods Game (öffentliche Güter-Spiel) ist die Standardentscheidungssituation aus der experimentellen Wirtschaftsforschung, um Kooperationsverhalten systematisch zu untersuchen. Die Teilnehmenden erhalten eine Anfangsausstattung, die sie dann aufteilen zwischen einem privaten Konto, das ihnen alleine zugutekommt und einem öffentlichen Projekt, dass der gesamten Gruppe nutzt. Weil durch die Bereitstellung des öffentlichen Gutes Nutzen entsteht, werden die Beträge zum öffentlichen Gut mit einem Multiplikator multipliziert. Das bedeutet, dass der Gesamtbetrag maximiert wird, wenn alle Teilnehmenden ihre gesamte Ausstattung ins öffentliche Gut investieren. Es entsteht jedoch der Anreiz, vom öffentlichen Gut zu profitieren, ohne einen Beitrag zu leisten, sondern die eigene Ausstattung komplett ins private Konto einzuzahlen oder ,mit anderen Worten, Trittbrett zu fahren. Laborexperimente zeigen, dass Teilnehmende zwar mehr zu öffentlichen Gütern beitragen, als die Spieltheorie, die vom rationalen Individuum ausgeht, vorhersagt, jedoch weiterhin unterhalb des sozialen Optimums bleiben. Durch den Anreiz fürs Trittbrettfahren nehmen die Beiträge zum öffentlichen Gut in wiederholten Public Goods Games ab, was die Fragilität der Kooperation verdeutlicht (Ledyard 1995).
Kommen wir nun zu freiwilliger Kooperation, also zum Beispiel der Teilnahme an einem Urband Gardening Projekt zurück. Um diese Freiwilligkeit im Experimentdesign zu implementieren, werden die Teilnehmenden vor die Entscheidung gestellt, sich zwischen einer sicheren Zahlung (Outside Option) und der Teilnahme am Public Goods Game zu entscheiden. Studien zeigen, dass wenn es eine einmalige Entscheidungssituation ist, die Freiwilligkeit keinen Einfluss auf das Kooperationsniveau hat (My & Chalvignac 2010; Nosenzo & Tufano 2017) jedoch bleibt ungeklärt, wie sich die Kooperation im Vergleich über mehrere Runde entwickeln würde. Es ist ebenso interessant zu verstehen, welche Personen sich für die Outside Option entscheiden und inwiefern die Höhe der Outside Option einen Einfluss auf das Kooperationsverhalten hat. Diesen Fragen widmet sich die Studie, die ich Ihnen hier vorstellen darf.
Bezogen auf unser Beispiel fragen wir uns also, wie sich die investierte Mühe und die Bereitschaft das Projekt finanziell zu unterstützen über mehrere Runden entwickelt, ob wir etwas herausfinden können, über die Personen, die sich entscheiden an solch einem Projekt teilzunehmen und inwiefern die Höhe der Alternativen das Kooperationsniveau beeinflussen: Würden Menschen zum Beispiel mehr beitragen, wenn ihre Alternative die Bepflanzung eines Nordbalkons oder, einer sonnigen Dachterrasse wäre?
Für die Implementierung des Experiments wurde die Software zTree Unleashed genutzt (Fischbacher 2007; Duch et al. 2020) und für die Rekrutierung der Studierenden die Software ORSEE (Greiner 2015). Insgesamt nahmen 204 Studierende online an dem Experiment teil. Die Teilnehmenden wurden zufällig auf eine Kontrollgruppe ohne Outside Option (55 Personen) und zwei Gruppen mit Outside Option aufgeteilt: Eine Gruppe von 72 Personen erhielt eine niedrige Outside Option, die andere Gruppe von 77 Personen erhielt eine hohe Outside Option.
Der grobe Ablauf des Experiments ist folgendermaßen: Zunächst werden die Teilnehmenden auf Basis ihres Verhaltens in einem 1-Perioden Public Goods Game klassifiziert, erhalten dann die Wahl der Outside Option (mit Ausnahme bei der Kontrollgruppe) und spielen dann, wenn sie die Outside Option ablehnen in Vierergruppen ein Public Goods Game über 10 Runden. Die Klassifizierung folgt dabei Fischbacher et al. (2001), die eine Strategieerhebung nach Reinhard Selten nutzt. Dabei werden die Teilnehmenden als „Trittbrettfahrer" (Menschen, die nichts beitragen unabhängig von dem Kooperationsverhalten anderer), „bedingte Kooperateure" (Menschen, die ihren eigenen Beitrag abhängig vom Beitrag anderer machen) oder „Andere“ klassifiziert.
Die Ablehnung der Outside Option kann als Wette in eine potenziell ertragreichere Zukunft interpretiert werden, während die Wahl der Outside Option den sicheren Gewinn priorisiert. Die individuelle Auszahlung im Public Goods Game errechnet sich mithilfe folgender Formel:
Diese Formel besagt, dass die Auszahlung jeder Runde aus der Anfangsausstattung (hier 20 Taler) minus des Beitrags zum öffentlichen Gut (ci) besteht zuzüglich des Ertrags aus dem öffentlichen Gut. Ein üblicher Multiplikator, der auch hier genutzt wird ist 2. Die Verdopplung der Beiträge im öffentlichen Gut bedeutet, dass jedes der 4 Gruppenmitglieder für jeden investierten Taler 0,5 Taler erhält, unabhängig davon, wer diesen Taler beigetragen hat. Es ist üblich in Laborexperimenten mit Talern zu rechnen und den Wechselkurs zu Euro bekannt zu geben, damit die Berechnung der Auszahlung in ganzen Zahlen erfolgen kann und somit einfacher für die Teilnehmenden ist. Wie bereits erwähnt wäre es rational die Taler ins private Konto einzuzahlen, da der marginale Beitragsertrag pro Kopf (MPCR) bei 0,5 liegt. Die Investition der gesamten Anfangsausstattung wäre allerdings sozial optimal.
Aus der Literatur ergeben sich 2 Haupthypothesen. Hypothese 1 besagt, dass die Beiträge in der ersten Runde des wiederholten Public Goods Games in den Gruppen mit Outside Option höher sein werden als in der Kontrollgruppe. Die Verfügbarkeit einer Outside Option könnte die anfängliche Kooperation fördern, indem sie in einem mehr Perioden Public Goods Game als Signal für die Kooperationsbereitschaft innerhalb der Gruppe interpretiert wird. Hypothese 2 besagt, dass über alle Runden hinweg die Beiträge in den Gruppen mit Outside Option höher sind. Das liegt einerseits an der Signalwirkung, wodurch das Kooperationslevel insgesamt oberhalb des Kontrollgruppenniveaus liegen könnte, andererseits könnte eine hohe Outside Option dazu führen, dass niedrig-kooperative Teilnehmende die Outside Option annehmen und somit nicht am Public Goods Game teilnehmen, was die Stabilität der Kooperation fördern könnte. Studien zeigen, dass homogene Gruppen die Kooperation tendenziell besser aufrechterhalten (u.a. Gunnthorsdottir et al. 2007).
Kommen wir nun zu den Ergebnissen des Experimentes und zum Test unserer Hypothesen. In der ersten Runde zeigen die Gruppen mit Outside Options tendenziell höhere Beiträge als die Kontrollgruppe, jedoch ist der Unterschied nicht signifikant. Die Mann-Whitney-U-Tests zur Überprüfung von Hypothese 1 ergaben folgendes: Für die niedrige Outside Option im Vergleich zur Kontrollgruppe wurde ein p-Wert von 0,14, für die hohe Outside Option ein p-Wert von 0,18 festgestellt. Obwohl die Beiträge in den Gruppen mit Outside Options tendenziell höher waren (im Durchschnitt 10,8 Taler bei der hohen Outside Option Gruppe 11,4 Taler bei der niedrigen Outside Option Gruppe und 9,7 Taler bei der Kontrollgruppe) finden wir somit keine Unterstützung für Hypothese 1.
Kommen wir nun zu unserer zweiten Hypothese. Über die 10 Runden hinweg zeigt sich, dass das typische Muster des Kooperationszerfalls in der niedrigen Outside Option Gruppe ähnlich ist im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Jedoch zeigt sich ein besonders deutlicher Rückgang der Beiträge in der Gruppe mit hoher Outside Option. Das könnte daran liegen, dass die hohe Outside Option als Referenzpunkt interpretiert wird, wodurch die Motivation der Teilnehmenden drastisch sinkt, sobald sie feststellen, dass ihre Gewinne pro Runde unterhalb dieser sicheren Alternative bleiben. So liegt der durchschnittliche Beitrag in der letzten Runde bei der Kontrollgruppe bei 6,7 Talern in der niedrige Outside Option Gruppen bei 7,0 Talern, hingegen bei der hohen Outside Option Gruppe bei 4,6 Talern.
Und wer hat sich entschieden die hohe Outside Option anzunehmen? Dazu wollen wir zunächst wissen, wie die Studierenden in dieser Studie nach Fischbacher et al. (2001) klassifiziert werden können. Wir können 80 % der Teilnehmenden als Bedingte Kooperateure, 7 % als Trittbrettfahrer und 12 % als Andere klassifizieren, was sich mit den Ergebnissen von Kocher et al. (2008) deckt. Prozentual wählen 50 % der Trittbrettfahrer in der Gruppe mit hoher Outside Option die sichere Auszahlung und nur 24 % der Bedingten Kooperateure und 22 % der Anderen, was so wirken könnte, dass eine attraktive Alternative tatsächlich dazu führt, dass sich weniger Trittbrettfahrer für das Public Goods Game entscheiden, jedoch sind in der Gruppe nur insgesamt 4 Trittbrettfahrer, weswegen man solch eine Aussage mit äußerster Vorsicht treffen sollte.
Kommen wir aber wieder zurück zum Leben. Was bedeuten die Ergebnisse für unser Beispiel? Im Urban Gardening könnte dies bedeuten, dass Menschen mit einer sonnigen Dachterrasse zwar motiviert sind, sich zu engagieren, die Motivation jedoch durchschnittlich drastischer sinkt, wenn das Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Generell gebietet es umsichtig zu sein, wenn man Implikationen von Laborexperimenten für die Gesellschaft ableitet aufgrund kleiner Stichproben und weniger variabler Einflüsse. Dennoch lässt sich spekulieren, was die Ergebnisse für größere gesellschaftliche Fragen bedeuten könnte: So könnte etwa der Verzicht auf Fleisch oder Fernreisen langfristig die Kooperationsbereitschaft mindern, wenn Menschen keine sichtbaren Effekte ihrer Handlungen erkennen, was im schlimmsten Fall zu einem verstärkten Konsum führen könnte, um verpasste Erlebnisse nachzuholen.
Bevor ich mich bei Ihnen für Ihr Interesse bedanke, darf ich zunächst meinen Dank der Gesellschaft für experimentellen Wirtschaftsforschung aussprechen, die durch das Reinhard Selten Stipendium diese Studie ermöglicht hat.
Herzlichen Dank für Ihr Interesse!
Mathilde Dräger
Kurze Vita
Mathilde Dräger hat VWL an der Universität Passau studiert. Im Rahmen ihrer Masterarbeit erhielt Sie das Reinhard Selten-Stipendium der Gesellschaft für experimentelle Wirtschaftsforschung. Seit 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für E-Business an der OvGU. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die experimentelle Untersuchung einerseits von kooperativem Verhalten andererseits von der Ablehnung von Systemen. Sie ist eine Freundin der Business School.