Kürzlich rief mich meine Bekannte Johanna an und berichtete, dass sie nun ihren Master in der Tasche habe. Auch ein Jobangebot läge schon auf dem Tisch: Projektcontrolling bei einem öffentlichen Arbeitgeber in Mecklenburg-Vorpommern. Jahresbrutto: 45.000€. Mit Bachelor wären es nur 38.000€ gewesen. Sie frage sich aber, so Johanna, ob sie bei einem anderen Arbeitgeber nicht wenigstens die 50.000er-Marke kratzen könne. Schließlich hatte sie das Master-Studium aus eigener Tasche bezahlt und diese Investition müsse sich ja lohnen.
Bei meinem langjährigen Arbeitgeber, zugegeben einem der größten Unternehmen in Deutschland, werden Bachelor-Absolventen in Bayern nicht unter 55.000€ eingestellt. Mit einem Master-Abschluss sind es über 65.000€. Was sollte ich Johanna also empfehlen? Und was ist überhaupt das „normale“ Einkommen eines Bachelor- oder Master-Absolventen? Ich begann zu recherchieren. Leider gibt es in meinem Bekanntenkreis nur wenige Personen, die offen über ihr Gehalt sprechen. Überhaupt tun sich die Deutschen schwer bei diesem Thema, wie das Allensbach-Institut im Auftrag von Kraft Foods vor einigen Jahren herausfand: Eher sprechen wir über unsere Beziehungsprobleme und familiäre Sorgen als über Einkommen und persönliche Finanzen. Nur ein einziges Thema wird in der Kaffee-Ecke oder im Zoom-Chat mit den Kollegen noch weniger diskutiert.
Andererseits ist ein attraktives Gehalt das wichtigste Kriterium, wenn wir einen neuen Job suchen:
Halten wir fest: Für die meisten von uns ist das Gehalt eine sehr wichtige Angelegenheit, aber wir tauschen uns selten mit anderen darüber aus. Das ist nicht gut für die Transparenz und hilft wenig bei der Einschätzung, ob unser Gehalt wirklich fair ist.
Meine Großmutter hätte nun verkündet: „Gute Haushaltung macht kleines Einkommen groß.“ Das mag stimmen, wir sollten unsere Messlatte aber dennoch etwas höher legen. Grund genug, einmal gemeinsam die Fakten anzuschauen.
Absolventen verdienen 45.000 Euro
Die folgende Betrachtung bezieht sich immer – sofern nicht anders gekennzeichnet – auf das Median-Bruttojahreseinkommen (inkl. Boni, Provisionen, Prämien etc.). Die Gehaltsan-gaben werden kaufmännisch auf volle Tausender gerundet. Im November 2020 veröffentlichte die Jobplattform StepStone die neueste Version ihres jährlichen „Gehaltsreports für Absolventen“, basierend auf rund 13.000 Datensätzen.
Ergebnis: Das Bruttojahreseinkommen von Absolventen lag im Jahr 2020 bei 45.000€, einschließlich einer variablen Gehaltskomponente von 2.000€/Jahr. Absolventen mit Bachelor-Abschluss erhielten 42.000€, mit Master-Abschluss hingegen 47.000€.
Nach dem Studium der Wirtschaftswissen-schaften erzielte man gemäß StepStone übrigens fast exakt das gleiche Gehalt wie der Durchschnitt aller Absolventen, also ebenfalls 42.000€ (Bachelor) bzw. 47.000€ (Master).
Die Internetplattform Gehalt.de kam im September 2020 zu einem ähnlichen Resultat: Bachelor-Absolventen verdienen 41.000€, Master-Absolventen 48.000 €.
Das daraus abgeleitete Lebenseinkommen für Bachelor-Absolventen beträgt 2,624 Miollonen Euro, das von Master-Absolventen sogar 2,901 Mio. € – ein Unterschied von 277.000€ oder 11%.
Bei der Einordnung dieses Unterschiedes ist zu berücksichtigen, dass Akademiker mit Bachelor-Abschluss aufgrund des früheren Berufseinstiegs eine längere Lebensarbeitszeit haben. Mit 25 Jahren können sie auf ein kumuliertes Einkommen von durchschnittlich 122.000€ zurückschauen (Gehalt.de, 2020), während Master-Absolventen ab diesem Alter üblicherweise erst in den Arbeitsmarkt eintreten. Unter Berücksichtigung der längeren Lebens-arbeitszeit von Bachelor-Absolventen ist der Master-Abschluss also – im Verhältnis zur Lebensarbeitszeit - nochmals deutlich lohnenswerter.
Diese Median-Werte sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Das tatsächlich erzielte und erzielbare Gehalt variiert – wer hätte es gedacht – erheblich und hängt insbesondere von den Faktoren Branche, Unternehmensgröße und Standort ab (Gehaltsreporter, 2020). Die erwähnte Studie von StepStone (2020) nennt Details: Die Branchen Fahrzeugbau/-zulieferer, Luft- & Raumfahrt, Chemie/Pharma sowie Banken zahlen Absolventen am besten (50.000-51.000€), wohingegen Hotellerie, Gastronomie, Touristik/Freizeit und Werbung/Marketing am schlechtesten bezahlen (34.000-36.000€). Zwischen der Branche mit dem höchsten Gehalt und dem Schlusslicht besteht ein Unterschied von bis zu 50%.
Ein enger Zusammenhang ist zwischen Branche und Firmengröße zu erkennen. Unternehmen mit über 10.000 Mitarbeitern bezahlen 51.000€, diejenigen mit 1-10 Mitarbeitern hingegen nur 40.000€.
Unternehmen an den Standorten Bayern und Baden-Württemberg zahlen Absolventen mit 48.000€ am meisten, in Sachsen-Anhalt und Thüringen mit 39.000-40.000€ im regionalen Vergleich hingegen am wenigsten.
Und jetzt? Was machen wir mit diesen Informationen? Soll Johanna also auf der Suche nach dem höchsten Gehalt die Koffer packen und ihr Glück bei einem Großkonzern der Autobranche im Süden Deutschlands suchen?
Wir merken: Es fehlen noch wichtige Aspekte als Basis für die Entscheidung. Ich greife zwei heraus, die mir persönlich als ganz wesentlich erscheinen: Lebenshaltungskosten und persönliche Lebensziele.
Lebenshaltungskosten nicht vergessen
Jüngst rief mich ein früherer Kollege an und erzählte mir vom Stand seiner Umzugsplanung. Die vierköpfige Familie zieht nach vielen Jahren in Brasilien wieder zurück nach München. Ein Reihenhaus im Speckgürtel der Bayrischen Landeshauptstadt soll es sein. S-Bahn-Anschluss ist wichtig. Kaufen, nicht mieten, weil die Hypothekenzinsen historisch niedrig sind. „Unter 1 Million Euro finden wir nichts. Bei freistehenden Einfamilienhäusern geht es sogar bedenklich Richtung 2 Millionen.“ Wie bitte? Ein Blick in die Fachpresse bestätigt seine Aussage. Falls sich mein Kollege stattdessen für eine familientaugliche Mietwohnung in München entscheidet, erwartet ihn eine happige Monatsmiete von 2.500-3.000€. Kalt. (Stiftung Warentest, 2021).
Wie beschrieben, beträgt das Median-Bruttojahreseinkommen der Absolventen 45.000€, variiert aber von Region zu Region. In seiner Studie ist StepStone (2020) daher der Frage nachgegangen, wieviel „Verbleibendes Einkommen“ Absolventen in jeder Region haben, wenn man die jeweiligen Lebenshaltungskosten (Miete, Verkehr, Nahrung, Freizeit) vom regional unterschiedlichen Nettogehalt abzieht. Das Nettogehalt ermittelt sich dabei wie üblich vom Bruttogehalt abzüglich Steuern und Sozialabgaben.
Das Ergebnis ist in seiner Eindeutigkeit überraschend, wie der Vergleich von München mit Leipzig zeigt: Auch wenn das Gehalt in München 26% höher ist als in Leipzig, so bleibt in Leipzig nach Abzug der Lebenshaltungskosten noch 1/3 vom Nettogehalt übrig. In München sind es 0% (StepStone, 2020)
Halten wir fest: Höheres Einkommen ist nicht gleichzusetzen mit höherem Lebensstandard. Regionale Unterschiede der Lebenshaltungskosten müssen berücksichtig werden.
Was willst Du?
Also sollte Johanna lieber in Mecklenburg-Vorpommern bleiben? In Rostock ist schließlich das „Verbleibende Einkommen“ besonders hoch.
Das hängt von persönlichen Vorlieben und den Lebenszielen ab. Wer viel verdienen und vielleicht auch die Karriereleiter schnell heraufklettern möchte sowie räumlich ungebunden ist, der kommt um einen sehr großen Arbeitgeber nur selten herum.
Als ich meine Karriere startete, machte bei so manchem Kollegen im Konzern das erklärte Ziel der „Gehaltsverdoppelung alle fünf Jahre“ die Runde. Getreu dem Motto des bekannten Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki: „Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn.“
Ist das noch zeitgemäß? Das muss jeder für sich entscheiden und es gibt kein „richtig“ und kein „falsch“.
Ich riet Johanna, dass sie es wenigstens einmal bei einem international tätigen Großunternehmen versuchen solle. Zum Beispiel bei Siemens oder vielleicht einem der Chemiekonzerne, die haben Zukunft. Dort könne sie gleich mit mindestens 60.000€ einsteigen, dann nach drei bis vier Jahren in eine Auslandsniederlassung wechseln und danach sofort in eine Gruppenleiterfunktion im Stammhaus. Sie müsse sich noch eine Mentorin suchen, die ihr dabei helfen könne, interne Unternehmenspolitik, Seilschaften, Machtspiele und ähnliches zu verstehen und sich dadurch nicht ausbooten zu lassen. Wenn sie das und einige andere Tipps berücksichtige und dazu insbesondere in den ersten Jahren mehr und besser als andere arbeite, habe sie eine glänzende Karriere vor sich.
Update: Johanna rief an und ließ mich wissen, dass sie sich anders entschieden habe und meinen Rat nicht annehme. Sie bleibt in Mecklenburg-Vorpommern und hat das Jobangebot akzeptiert. Die zukünftige Vorgesetzte hat den Ruf des „Forderns & Förderns“, was ihr gut gefällt. Auch mit der Unternehmenskultur scheint alles zu stimmen. Außerdem hat Johanna ein schmuckes, wenn auch renovierungsbedürftiges, Bauernhaus ganz in der Gegend ihrer (künftigen) Schwiegereltern ausfindig gemacht. Das Projekt begeistert sie und passt zur Familienplanung.
Ich glaube, sie hat die richtige Entscheidung getroffen.Was meinst Du?
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martin.kerkhoff@st.ovgu.de
Quellen:
Bös, N. (03. September, 2020). Bachelor und Master lohnen sich - meistens. Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/-gym-a30vt
Gehalt.de. (09. September, 2020). Lebenseinkommen: So viel verdienen wir in unserem Berufsleben. https://cdn.gehalt.de/cms/pressemitteilung-lebenseinkommen-2020.pdf
Gehaltsreporter.de. (Januar, 2021). Einstiegsgehalt 2021 für Absolventen. https://gehaltsreporter.de/absolventengehaelter
StepStone GmbH (Hrsg.). (November, 2020). StepStone Gehaltsreport für Absolventen 2020/2021. https://www.stepstone.de/wissen/einstiegsgehalt/
Stiftung Warentest. (Januar, 2021). Preise steigen weiter. Finanztest, S. 64-69.